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19.11.2018: Kunstaktion im öffentlichen Raum

Eine Aktion des Vereins für Obdachlose – Streetwork und der Bettellobby Tirol

Armut bestraft


Menschen, die betteln, sind immer wieder Thema von Stammtischparolen, medialer und politischer Auseinandersetzungen sowie öffentlicher Diskussionen. Immer wieder wird auf diese Menschen mit Misstrauen, rassistischen Vorurteilen, Abneigung, Vertreibung und Bestrafung reagiert.
Mit dieser Aktion möchten wir vor Weihnachten besonders auf die Strafpolitik gegen Menschen, die betteln, aufmerksam machen, Passant*innen zum Nachdenken über das Thema anregen, mehr Verständnis für sichtbar arme Menschen im öffentlichen Raum wecken und Informationen bereitstellen, die zu einem solidarischen Umgang mit Armutsbetroffenen anregen sollen.
Die Strafverfügungen auf den Figuren sind anonymisierte Originale, die Menschen, die in Tirol bettelten, bekamen. Teilweise erhielten Betroffene mehrere Strafen an einem Tag.
Auf Menschen, die betteln, wird von öffentlicher Seite mit ordnungs- und sicherheitspolitischen Maßnahmen reagiert, nicht mit sozialen und sozialpolitischen Angeboten, Maßnahmen und Gesetzen – dies trifft Menschen aus Österreich und erst recht Menschen aus anderen europäischen Staaten.
Zum Umgang mit Betteln werden eigene Gesetze beschlossen und dies im sicherheitspolizeilichen Bereich – das hat eine lange Tradition in Österreich und vermittelt den Eindruck, dass Menschen, die betteln, etwas Kriminelles anhaftet. Aktuell sind in Tirol seit 2014 bestimmte Formen des Bettelns verboten, davor galt ein absolutes Bettelverbot in Tirol. Seit 2015 gibt es zudem ein Bettelverbot beim Oster- und Weihnachtsmarkt.
Menschen, die betteln, leben in massiver Armut. Als letzte Möglichkeit zum (Über-)Leben wählen sie das Betteln. Damit machen sie ihre Armut gezwungenermaßen öffentlich, weil ihnen die Sozial- und Arbeitsmarktpolitiken der europäischen Staaten keine anderen Alternativen bieten.
Menschen, die sichtbar arm sind, sind in Tirol kein „gewohnter Anblick“. Und dies bekommen zynischerweise die Betroffenen zu spüren – mit aller Härte: ein Leben in sehr prekären Lebenssituationen: vor Ort und in ihren Herkunftsländern – Betteln als letzter Ausweg zum (Über-)Leben – polizeiliche Verfolgung: Vertreibungen aus dem öffentlichen Raum, Geldstrafen und bei „Uneinbringlichkeit“ des Strafbetrages Ersatzfreiheitsstrafen – gesellschaftliche Stigmatisierung und Ausgrenzung.
Den Menschen, die in Tirol betteln, werden bestimmte Verhaltensweisen zu- und in den „erläuternden Bemerkungen“ zum Gesetz festgeschrieben: sie seien aggressiv, arbeitsunwillig und/oder organisiert. Dadurch werden Maßnahmen zur Vertreibung und polizeiliche Verfolgung gerechtfertigt. Im Namen von öffentlicher Sicherheit und Ordnung werden armutsbetroffene Menschen zu einem Störfaktor und Missstand erklärt, den es aus dem öffentlichen Raum und dem Stadtbild zu Gunsten von Profit und wirtschaftlichen Interessen zu entfernen gilt.
Die Bestrafung von bettelnden Menschen hat zurzeit einen Höhepunkt erreicht. Das Gesetz bezüglich Bettelns wird sehr weit und sehr streng ausgelegt. Es ist praktisch unmöglich, zu betteln ohne bestraft zu werden. Dies, obwohl der Verfassungsgerichtshof 2012 zur Erkenntnis gekommen ist, dass Betteln grundsätzlich erlaubt sein muss, weil es unter das Recht auf freie Meinungsäußerung fällt (in diesem Falle: auf seine Notlage aufmerksam zu machen) – ein zentrales Grundrecht in jeder Demokratie.
Vermehrt wird nun auch fremdenrechtlich gegen Menschen, die betteln, vorgegangen: Armutsbetroffene EU-Bürger*innen sind von Abschiebungen und Aufenthaltsverboten in Österreich betroffen; und dies aufgrund von Mittellosigkeit und aufgrund der Verwaltungsstrafen, die sie bekommen haben, weil sie in der Innsbrucker Innenstadt um einen Notgroschen bettelten. Die Begründung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl lautet: „eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“.
Aus unserer Sicht ist Armut – um im Wortlaut zu bleiben – eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung einer Gesellschaft, und damit für den sozialen Frieden, nicht die betroffenen Menschen.
Die gesetzlichen Bestimmungen zum Betteln, die Strafpraxis in Innsbruck, die Abschiebungen und Aufenthaltsverbote für arme EU-Bürger*innen sind ein zynisches Beispiel für die Bekämpfung von armen Menschen. Ähnlich wie die Verordnungen des Nächtigungsverbotes und des Alkoholverbotes in bestimmten Zonen der Stadt Innsbruck handelt es sich dabei um Maßnahmen, die die Situation von Betroffenen verschärfen, Stimmung gegen Armutsbetroffene machen und sie unsichtbar machen sollen.
Wer demokratische Strukturen dazu benutzt, die Grundrechte einzelner Personen und Personengruppen aufgrund ihres sozialen Status zu beschneiden, unterhöhlt letztendlich die Demokratie an sich – und dies passiert mit Blick auf die Geschichte Österreichs nicht auf einmal, sondern in vielen kleinen, manchmal sehr schnellen Schritten – das betrifft letztlich alle direkt.

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